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3 Monate in Nica- und Tico-Land

Nicaragua und Costa Rica – Nachbarn wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Costa Rica – ein Hauch Europa in der Mitte Amerikas. Mal abgesehen von traumhaften Wasserfällen, wellenreichen Stränden und kunterbunten Tieren, erinnern die Infrastruktur, die ausgebauten Nationalparks und die Menge der Touristen eher an Norditalien. Nur sprechen die Touristen großteils US-Amerikanisch und verhalten sich auch so.

 

Nicaragua – eine ganz andere Welt. Kleine, kaum begehbare Pfade führen durch die wichtigsten Nationalparks, fließend Wasser und Strom sind bei weitem nicht überall an der Tagesordnung, Touristen? Fehlanzeige...ein unentdecktes Land, das durch seinen ursprünglichen Charakter und seine offenen Menschen zum Lieblingsland eines jeden wird, der es besucht.

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Doch der Reihe nach. Schon immer hatte ich nach drei Wochen Urlaub zwar das Gefühl, mich gut erholt, aber Land und Leuten des Reisezieles maximal oberflächlich erfahren zu haben. Das musste sich ändern. Deshalb hatte ich im Januar 2004 ein ausführliches Gespräch mit meinem Chef. Das Ergebnis: 3 Monate Urlaub – von Mitte September bis Mitte Dezember 2004. Wohin ich wollte war schon lange klar: dorthin, wo man keinen Neoprenanzug  zum Surfen braucht und wo man außerdem Spanisch lernen kann. Zentralamerika. Eigentlich sollte es nur Costa Rica werden, aber da ich als Kind im Rahmen der sozialistischen Aufbauhilfe immer Carepakete in das Nachbarland Costa Ricas, nach Nicaragua, geschickt habe, wollte ich nun auch mal sehen, wo Burger Knäcke, ungarische Salami und abgelegte Spielsachen in den 80er Jahren so gelandet sind...

 

Man glaubt gar nicht, wie schnell die Zeit von Januar bis September vergehen kann. Ehe ich mich’s versah stand ich in Nicaragua, d.h. an der Grenze zu Nicaragua. Denn gelandet war ich auf dem Flughafen von San Jose, der Hauptstadt von Costa Rica, um auf dem Landweg nach Nicaragua einzureisen. Und hier beginnt das Abenteuer:

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Die Ausreise aus Costa Rica ist gut organisiert. Man steigt aus dem Bus, der einen die letzten Stunden zielsicher durch jedes Schlagloch chauffiert hat. In Zentralamerika scheinen Schlaglöcher magnetisch zu sein...oder gibt es einfach so viele, dass man gar nicht rundherum fahren kann? In einem gut beschilderten Grenzgebäude bekommt man seinen Ausreisestempel, mit dem man ins Niemandsland zwischen Costa Rica und Nicaragua entlassen wird. Aber wohin jetzt? Die Suche nach irgendeiner Art von Hinweisschildern endet erfolglos. Aha, im Reiseführer steht: ‚folgen Sie ca. 800m der staubigen Straße, bevor Sie zur Nicaraguanischen Grenze gelangen’. Gut, dann folge ich eben der Straße, die tatsächlich ausgesprochen staubig ist. Gut, dass außerdem im Reiseführer steht, dass man den Schlagbaum und die offiziell aussehenden Gebäude, die auf dem Weg liegen ignorieren muss und erst bei dem an eine Raststätte erinnernden Häuschen nach dem richtigen Fensterchen suchen muss, aus dem ein heute nicht allzu hoch motivierter Grenzbeamter die Einreisestempel nach Nicaragua verteilt. Das kostet dann auch nur 7 Dollar und schon kann man weitersuchen, wo man denn jetzt tatsächlich hinein nach Nicaragua kommt. Nach einer Weile entdecke ich in der langen Grenzmauer ein kleines Gartentürchen, bewacht von zwei uniformierten Grenzbeamten. Für nur 1 Dollar wird mir das Türchen geöffnet und ich trete ein in eine Welt, wie sie mit Worten nur schwer beschreibbar ist. Schlagartig bin ich umgeben von laut schreienden Menschen, die mir wahlweise den Rucksack tragen möchten, Dollar gegen Cordobas tauschen, Cola und Reis mit Fleisch in Plastiktüten verkaufen oder mich mit ihrem Taxi muy barato bis ans Ende der Welt bringen wollen. Ich will nichts von all dem und sauge einfach nur die Flut an Eindrücken auf, die mich hier überschwemmt.
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Nach einer Weile erwache ich aus meiner durch Reizüberflutung entstandenen Starre und frage nach meinem Bus. Und bekomme eine Antwort, die ich noch so oft hören sollte...’no hay un bus’ ‚es gibt keinen Bus’. Stimmt nicht. Ok. Nächste Antwort: ‚sale en 2horas y 30 minutos’. Fährt erst in 2einhalb Stunden. Stimmt auch nicht. Tut mir leid, die Antworten kenne ich...Taxifahrer wollen auch ihr Geschäft machen...Ist aber nicht schlimm, denn vor mir steht nämlich plötzlich ein Chico, der mir ‚a Rivas’ ins Gesicht schreit. Gut. Das ist mein Bus. Als ich frage, wann der Bus fährt, schaut er auf eine imaginäre Uhr auf seinem linken Arm und antwortet: ‚en 20minutos’....nica time...

 

Busfahren in Nicaragua ist ein ganz besonderes Erlebnis. Die Busse sind ausrangierte, sehr lang ausrangierte, amerikanische Schulbusse. Jeder Fahrer hat seinen eigenen Bus, den er sehr liebevoll dekoriert. Zielort und Abfahrtszeit werden außen drauf gepinselt. Und man mag es nicht glauben, in Kombination ergeben all die Busse, die irgendwann irgendwohin fahren eine Art Fahrplan. Zu einem Bus gehören außer dem Fahrer, der sich nicht hinter seinem Lenkrad weg bewegt, noch der Chico und der Kassierer. Der Chico ist dafür zuständig, permanent zu schreien, wo der Bus gleich hinfährt und Gasflaschen, Schweine, Fahrräder und andere Gepäckstücke auf dem Busdach zu verstauen. Außerdem muss er, wenn der Bus voll ist, die Heckeinstiegstür zuhalten. Den geruhsamsten Job hat der Kassierer. Außer Geld einsammeln muss er nämlich nichts anderes tun, als den ganzen Tag Bus zu fahren.

 

Busse sind neben Beförderungsmittel auch noch Gemischtwarenläden. Sobald der Bus hält steigen fliegende Händler ein, die die schon erwähnten Plastiktüten mit Cola oder Reis mit Fleisch, Scheren, Kugelschreiber, Rasierapparate, Kaugummi, pinkfarbenes Eis in grünen Waffeltüten, Hängematten, Modellflugzeuge oder andere Sachen, die man zum Bus fahren unbedingt braucht verkaufen wollen.

 

Langweilig wird es beim Busfahren nie. Es findet sich wirklich immer ein Gesprächspartner, der geduldig jeden Satz solange wiederholt, bis man ihn selbst mit kaum vorhandenem Spanisch verstanden und eine Antwort gegeben hat. Dann strahlt der Nachbar und lässt seine eisenumrandeten Vorderzähne blitzen...

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Völlig fasziniert von all dem Treiben lande ich mit einem bunt geschmückten Schulbus in San Juan del Sur. Mein erster Weg: zum Meer, vorbei an mindestens 10 Taxifahrern, die mich muy barato irgendwo hin bringen wollen...Und dann stehe ich ....am Meer. Vor mir breitet sich eine weite Bucht aus, die von zwei Felszacken umrahmt wird. In der Bucht ankern kleine Fischerboote und etwas größere Luxusjachten. Die müssen zu den weißen Villen gehören, die rechts an den Hügel gebaut sind. Aber das ist nicht San Juan del Sur. San Juan del Sur ist ein Fischerdorf mit einfachen bunten Häuschen. Vor jedem Haus, ob aus Treibholz zusammengenagelt oder aus Stein gebaut, steht mindestens ein Schaukelstuhl, das wichtigste Möbelstück in Nicaragua, das selbstverständlich auch mit aufs Familienfoto gehört. Am Strand reihen sich Bambushütten, die als Restaurants dienen, aneinander. Als Familienfahrzeug dienen Fahrräder – Papa lenkt, Mama sitzt auf der Stange, der 2jährige Sohnemann auf Mamas Schoß. Und: die Sonne brennt. Das ist San Juan del Sur. Hier werde ich die kommenden 3 Wochen verbringen. In Salomons Haus. Gemeinsam mit Argentina, Salomons Frau, Juanita, ihrer Schwester und Umberto, dem süßen Großneffen der Schwestern… Verworrene Familienverhältnisse sind auch so was typisch Nicaraguanisches.... 
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Außer Spanisch lerne ich in den kommenden 3 Wochen noch sehr viel über das Leben in Nicaragua und die Geschichte des gebeutelten Volkes. Über die lange ungerechte Zeit der Somosa Diktatur - Somosa hat bei dem Versuch, seine Macht zu erhalten sein eigenes Volk bombardiert. Über die Sandinisten, die voller guter Absichten die Revolution Ende der 70er initiierten, auf die das Volk all seine Hoffnung gesetzt hat, die aber im Handelsboykott durch die USA und damit in 10 Jahren voller Hunger, Entbehrungen und Krieg endete. Und schließlich den Einzug des Friedens Anfang der 90er Jahre.

 

Langsam erholt sich das größte Land Zentralamerikas von den Unruhen des 20. Jahrhunderts und kaum merklich entwickelt sich eine Infrastruktur, die das Reisen in diesem wunderschönen Land möglich macht.

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Außer unglaublich vielen Vokabeln und ein bisschen von der Geschichte Nicaraguas lerne ich noch einige andere Dinge... reiten z.B., auf kleinen Gäulen, die mir trotzdem Respekt einflößen. Und Surfen, auf großen Wellen, die mir noch mehr Respekt einflößen. Fischen lerne ich, mit Holzbrettchen und Angelsehne. Und Pinjata – ein Kinderspiel. Dazu braucht man eine Pappmaché-Figur gefüllt mit Süßigkeiten, eine Gummikeule, ein Kind, das sich freiwillig die Augen verbinden lässt und viele andere Kinder, die ihm erzählen, wohin es die Gummikeule schwingen muss, um die Pappmaché-Figur zu treffen und damit all die eingesperrten Süßigkeiten zu befreien. Ein richtiger Treffer und der Job ist erledigt. Laut schreiend stürzen sich die Kleinen dann auf den Bonbonregen … raue Sitten hier in Zentralamerika.

 

Und noch etwas wichtiges lerne ich kennen. Die Essgewohnheiten der Nicas. Reis ist im Ernährungsplan extrem wichtig. Und Bohnen! Zum Frühstück gibt es frisches Obst und Gallo Pinto - gebratenen Reis mit Bohnen. Zum Mittag gibt es Spaghetti und Reis mit Bohnen. Zum Abendessen gibt es Fisch. Und Reis mit Bohnen. Nachdem ich mich an die allgegenwärtigen Geckos, die mit Vorliebe im Dutzend an der Decke direkt über dem Esstisch hängen gewöhnt hatte und mir sicher war, dass nicht jeden Moment ihre Saugnäpfe versagen und sie in mein Essen platschen, konnte ich auch meine tägliche Ration Aroz con Frijoles genießen.

 

Nach drei Wochen heißt es Abschied nehmen von San Juan del Sur, in dem ich mich inzwischen schon richtig zu Hause fühle. Wenn ich fürs Internetsurfen oder eine Flasche Wasser gerade nicht genug Kleingeld habe, kann ich einfach anschreiben lassen und später zahlen. Auch die Taxifahrer haben aufgehört, mich anzuschreien, wohin sie mich chauffieren könnten und geben schon nach dem ersten ihrer 10 Standardvorschläge auf. Aber es gibt ja immer noch Reis mit Bohnen...

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Die nächste Station: Ometepe. Eine Insel, die aus zwei Vulkanen besteht – Concepcion im Norden und Maderas im Süden. Eine der vielen Inseln im riesigen Lago de Cocibolca, dem einzigen Süßwassersee mit Haipopulation.

 

Von denen merken wir glücklicherweise nichts. Wir halten uns eher an die Berge als an das Wasser und erklimmen den Volcan Maderas. Zusammen mit Douglas, unserem Guide und Susi und Paul aus Garmisch, mit denen wir seit San Juan del Sur unterwegs sind. Durch dichten Primärwald geht es über und auch unter hüfthohe Wurzelstufen und durch tiefe Schlammlöcher dem Kratersee entgegen. Immer wieder können wir die traumhaften Ausblicke  auf den See und den Nachbarvulkan Concepcion genießen. Wenn wir nicht gerade damit beschäftigt sind, uns an den überall herumhängenden Lianen über die nächste Steilstufe zu hangeln. Nach 5 Stunden von Kopf bis Fuß voller Schlamm und ziemlich erschöpft am höchsten Punkt angekommen, zeigt uns Douglas den Weg zur Lagune. Was heißt Weg... er zeigt uns ein nahezu senkrechtes Stück Fels mit ein paar wenigen Absätzen. Aber das ist auch schon egal. An seinem Seil hangeln wir uns nach unten und stehen endlich an der Lagune. Wie schön das hier ist! Der Abstieg beginnt mit einem Aufstieg. Wieder am Seil natürlich. Douglas scheint einen Narren an Julia gefressen zu haben. Um „den Abstieg schneller hinter uns zu bringen“, führt er Julia die gesamte Zeit an der Hand und lässt sie auch bei längeren Pausen nicht los. Gute Begründung.

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Nach einem kurzen Abstecher nach Granada, einer der schönsten Kolonialstädte Nicaraguas, wagen wir einen abenteuerlichen Flug mit einer 12sitzigen Jesna nach San Carlos. Nicht ohne eine extra Biege über Solentiname, einer Inselgruppe im Lago di Cocibolca. Einer der anderen 10 Insassen wollte uns gerne sein Haus von oben zeigen. Die Piloten ließen sich nicht lange bitte und zogen eine lange Rechtsschleife, um den Wunsch ihres Passagiers zu erfüllen.

 

San Carlos wird im Reiseführer als hässlichste Stadt Nicaraguas beschrieben. Man solle versuchen, diesen Moloch so schnell wie möglich zu verlassen...das versuchen wir natürlich. Gelingt uns aber nicht. Unser Boot nach El Castillo fährt nämlich nicht um 15 Uhr wie geplant, sondern hat den Hafen um 14 Uhr verlassen, wie wir um 14.15 Uhr von einem Zöllner, der seine Ausbildung zum Automechaniker in Dresden absolviert hat, erfahren.  Ok, dann bleiben wir halt doch im Moloch und schnacken noch ein wenig mit dem Automechaniker in Camouflage. Auf dem Weg zu unserer Unterkunft hören wir laute Musik aus einer der Seitenstraßen. Ein Fanfarenzug, gefolgt von allen Schulkindern des ‚Molochs’ in ihrer typischen Schuluniform kommt auf uns zu. Später erfahren wir, dass das ein Trauerzug war. Gute Art, mit Trauer umzugehen. Um ganz ehrlich zu sein, genießen wir San Carlos. Hier ist alles so echt ... in der einzigen Kneipe im Dorf gibt es Bier aus Literflaschen, am Wasser steht, extra für das Sundowner Victoria im Schaukelstuhl, ein zusammengeschustertes Haus, was als Dorfbar dient und am nächsten Morgen werden wir von der Dorfgemeinschaft schon als las dos Alemanes begrüßt. Trotzdem machen wir uns auf nach El Castillo.

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El Castillo ist nur über einen Fluss, den Rio San Juan, per Boot erreichbar. Eine Straße gibt es nicht. Die Menschen am Flussrand haben sich perfekt mit den Lebensbedingungen arrangiert. Sie wirken als würden sie die Langsamkeit der vergehenden Zeit mit voller Überzeugung leben. Nach 2h Bootsfahrt, während der gewissenhaft auf die Sicherheit der Passagiere geachtet wird – jeder muss Namen und Passnummer in eine Liste schreiben, zur Sicherheit, falls das Boot sinken sollte -  tauchen kleine Stromschnellen vor uns auf. Aber auch das Wahrzeichen der Region und Namensgeber des Dorfes – die Festung – kommt in Sicht. El Castillo diente zu Zeiten der Kolonialisierung als Schutzwall der Spanier gegen die Engländer, die immer wieder versuchten, von der Karibik aus den Rest des Landes zu erobern. Bis heute erfolglos.
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Nächste Station: Solentiname. Solentiname bedeutet Einsamkeit. Und wenn es einen Platz auf dieser Welt gibt, der diesen Namen verdient hat, dann ist es diese Inselgruppe im Südosten des Lago Cocibolca. Nur 2x pro Woche fährt ein Boot vom Festland zu den Inseln. Dienstags und Freitags. Als Personenbeförderung und für den Lebensmittelnachschub. Will man auf der Insel am Montag Abend ein Bier trinken, muss man schon ziemliches Glück haben, noch eins zu bekommen. Meist muss man sich bis zur frischen Lieferung am nächsten Tag gedulden. Autos gibt es auf den Inseln nicht. Kleine Dschungelpfade sind die Hauptstraßen, auf denen man die zugewucherten Inseln in kürzester Zeit durchqueren kann. Dort treffen wir auch ab und zu recht exotisches Getier, was dann, ganz in Nica-Manier, in aller Seelenruhe direkt neben unseren Füßen vorbei schlurft. Strom und Leitungswasser werden kurz nach Einbruch der Dunkelheit abgestellt. Ihre Zeit vertreiben sich die Inselbewohner mit Malerei. Die naive Kunst aus Solentiname ist weltweit bekannt.

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Zurück aus der Einsamkeit reisen wir direkt in den hohen Norden Nicaraguas nach Esteli. Esteli unterscheidet sich von den südlicheren Städten Nicaraguas. Es ist ein wenig kühler, es gibt noch weniger Touristen, aber es ist auch geschundener von Revolution und Konterrevolution. Es gibt kaum eine Familie, die nicht einen Angehörigen im Kampf gegen die Unterdrückung verloren hat. In manchen Häusern sieht man noch heute Einschusslöcher, denn hier, im nördlichen Hochland war das Zentrum des Krieges. Mir gefällt die Stadt trotzdem. Und erholt von den Wirren der Geschichte wirkt sie heute jung und lebendig.
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Esteli ist Ausgangspunkt für Touren nach Miraflor. Hatte ich behauptet, dass die bisherigen Nationalparks einsam waren? Vergesst es...das hier ist Einsamkeit! Nach 2h Busfahrt werden wir mitten in der Einöde vom Chico aus dem Bus gelassen....wir müssten nur ca. 4,5 km laufen und würden dann ein Dorf mit Unterkünften und Guides finden. So ganz richtig war auch diese Information nicht. Statt in einem Dorf mit Guides und Unterkünften landen wir auf einer Finca. Durch einen glücklichen Zufall treffen wir dort auch auf einen Guide – Henry – der uns die sagenhafte Schönheit Miraflors zeigt. Unter anderem einen 25m hohen Baum, in dessen Inneren man bis in die Krone klettern kann. Ich hab’s nach 10m aufgegeben. Gut, dass wir Henry getroffen haben. Alle anderen Guides spielen heute nämlich Baseball...Volkssport in Nicaragua. Eine der vielen Besonderheiten hier in Miraflor sind die alten Eichen mit ihren Barbas de la Vieja...alte Bärte. Vermischt mit Erde ergeben die alten Bärte eine Masse, aus der die Hütten gebaut werden, in denen die Menschen Miraflors leben. Alternativ sind die Hütten aus unbearbeiteten Ästen zusammen genagelt. Als Tapete aber dient immer die Tageszeitung der letzen Monate...jeder hat da so seine Liebingsressorts, die er sich an die Wand klebt...Fließend Wasser und Strom gibt es nicht. Das stellen wir während unserer Übernachtung bei Henrys Familie fest. Aber dafür sind die Menschen aufgeschlossen und unglaublich liebenswürdig. Bei unseren auf dem Lehmofen zubereiteten Tortillas zum Abendessen leistet uns Henrys gesamte Familie Gesellschaft. Bei Kerzenschein versteht sich...Mir fällt es richtig schwer, mich zurück in die Zivilisation zu verabschieden.

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Die nächste Station sollte die Karibikküste Costa Ricas sein. Die Karibikküste – blauer Himmel, strahlender Sonnenschein, türkisfarbenes Meer, schwerbehangene Palmen, die in der Mittagshitze Schatten bieten...ää...Dauerregen und knöcheltiefes Wasser, wo man geht und steht. Schön ist’s irgendwie trotzdem. So muss das Paradies ausgesehen haben, wenn gerade mal schlechtes Wetter war. Die Bevölkerung hier ist vorwiegend schwarz und spricht ein Kauderwelsch aus spanisch und englisch, das selbst das geschulte Ohr nicht versteht. Kokos- und Bananenbrot sind Hauptnahrungsmittel – lecker!

 

Nach fünf Tagen Wasserwaten gebe ich das Warten auf Sonnenschein auf und fahre zurück an die Pazifikküste, wo inzwischen die Trockenzeit begonnen hat. Auf dem Weg dorthin haben wir eine kleine Reifenpanne. Zufällig kommt gerade in dem Moment, in dem der mit weißem Hemd gekleidete Busfahrer (in CR wurden die Chicos aus Kostengründen abgeschafft) widerwillig sein Radkreuz auspackt, um den Zwillingsreifen zu wechseln, ein rettender Engel vorbei. Auf einem knatternden Mofa. Und noch zufälliger hat der Engel (ölverschmiert und nicht gelb wie in Deutschland) just an der Stelle eine Autowerkstatt, an der wir uns den Platten Reifen eingefahren haben...Zufall?!?!

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Jaco –Surfers Paradise. Ein Surfshop am anderen und Wellen, von denen man nur träumen kann. Ich muss gleich aufs Brett und surfe bis die Sonne untergeht. Ein fettes Grinsen schneidet sich in mein braunes Gesicht, die Haare hängen in Strähnen in die Augen, verknotet und ausgeblichen von Sonne und Salz – das ist Pura Vida! Und ich bin meersüchtig...

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Angekommen in Tamarindo genieße ich die Zeit bei meiner Gastmutter Aracelly. Aracelly lebt mit zwei Ihrer Neffen zusammen und ist die tollste Costa Ricanerin, die ich getroffen habe. Sie bringt mir bei, wie man Tortillas macht und kann sich gar nicht vorstellen, dass es Länder gibt, in denen es nicht immer um schlag 6 Uhr dunkel wird...ich genehmige mir die ein oder andere frische Kokosnuss am palmengesäumten Traumstrand, dessen Eindruck leider von ziemlich vielen Tourihotels gestört wird und bin nach einer Woche fast ein wenig traurig, dass ich mich schon wieder von Aracelly verabschieden muss. Aber schließlich kommt das, worauf ich die vergangenen Wochen so sehnsüchtig gewartet habe. STEN.

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Wir holen einen dritten Darsteller ins Boot. Su...Su Zuki. Mit unserem kleinen königsblauen Allrader holpern wir über schlaglöchrige Straßen zum Arenalsee. Das soll einer der zehn windsichersten Spots der Welt sein. Wir glauben das natürlich erst mal nicht...wird ja viel erzählt... Wir mieten eine hübsche  kleine Holzhütte der Villas Alpino in den Hügeln am Rande des Sees und genießen den Traumblick – direkt aus dem Bett durchs Panoramafenster aufs Wasser. Schon am frühen Morgen wird uns bewusst, dass das mit den zehn windsichersten Spots der Welt durchaus stimmen kann. Der Wind pfeift um unsere Hütte herum und weckt uns durch sein heulen. Selbst die Windräder geben auf und drehen resigniert ab. Wir sind mutig und wagen uns in den Sturm. 2,9 qm. Das ist verdammt klein für ein Segel.... An einem windigen Tag in Europa freut man sich,  wenn man mal das 5,5er auspacken darf. So klein das Segel ist, so  aggressiv ist der Wind. Anfangs schleuderstarte ich nur übers Wasser.  Nach ein wenig Akklimatisation kann ich aber tatsächlich Gefallen am Kampf mit dem Wind finden. Aber Wind ist nicht die einzige Naturgewalt, die der Lago di Arenal zu bieten hat. Es gibt auch noch einen prototypischen Vulkan, der jede Nacht Feuer spuckt. Wirklich. Wir sind Zeugen!

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Nach traumhaften Tagen am Arenalsee suchen wir weiter nach Wind. Und finden ihn. In der Bahia Salinas, ganz im Norden Costa Ricas. Kein Wunder, dass sich hier eine kleine Kitegecommunity angesiedelt hat. Das ist einfach das Paradies. Konstant 25 Knoten, 30°C, türkisblaues Wasser, Riesenschildkröten, die neugierig beim Kiten zuschauen. Für mich ist das Zuschauen nicht ganz so komfortabel. Bei 25 Knoten fliegt Sand nämlich in schmerzhafter Geschwindigkeit durch die Luft. Gekocht wird abends vom Österreichischen Chefkoch frisch Gefangenes. Es gibt drei verschiedene Gerichte. Jeder hebt die Hand bei dem, was er gerne essen möchte. Unsere Unterkunft – natürlich – mit Blick aus dem Bett direkt aufs Meer!

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Bevor wir uns auf den Weg zurück in mein geliebtes Nicaragua machen, legen wir noch einen kurzen Zwischenstopp in Samara Beach ein. Im Samara Beach Club genießen wir – na was wohl – genau: Den Blick aus dem Bett direkt aufs Meer. 10m vom Bett aufs Brett. 8m vom Bett in die Hängematte. Immer vorbei an der äußerst unterhaltsamen und mindestens genau so dicken Besitzerin des Samara Beachclubs,  der Kanadierin Mo.

 

Su, die mit Familiennamen Zuki heißt, muss in Costa Rica bleiben. Wir steigen für Nicaragua auf den Bus um...schon alleine das ist eine Reise wert! Auch wenn Sten anfangs geschockt ist von den Unterschieden zwischen Costa Rica und Nicaragua, fängt er spätestens beim Sun Downer Cervezza Victoria in San Juan del Sur an, den nicaraguanischen Lifestyle zu lieben. Ich bin dem ja eh schon lange verfallen.

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Süchtig danach werden wir beide auf Little Corn Island in der nicaraguanischen Karibik.  Denn dort haben wir das Paradies gefunden. Per Bus und Boot ist das Paradies von Managua, der Hauptstadt Nicaraguas, 3-4 Tage entfernt. Da wir unsere Zeit lieber auf der Insel statt auf dem Weg dorthin verbringen, entscheiden wir uns für einen Flug in einer 20-Mann Maschine nach Big Corn. Nach Little Corn fahren wir mit einem Boot, das zweimal täglich die große und die kleine Isla de Maiz verbindet. Eigentlich springen wir eher. Denn die Wellen sind so hoch, dass der alte Holzkahnmehr in der Luft als im Wasser ist. Eine Achterbahnfahrt ist ein Scheißdreck dagegen, aber mein Magen hat inzwischen Hornhaut!
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Little Corn Island kann man zu Fuß in ca. 1h umrunden. Die Hauptstraße besteht aus einem schlammigen Weg, der an der breitesten Stelle etwa zwei Meter misst. Überall funkelt das türkisblaue Meer durch die Kokospalmen. Wir suchen nach einer passenden Unterkunft und finden schließlich palmenwedelgedeckte Bambushütten mit – ja, womit wohl – genau: mit Blick vom Bett direkt aufs Meer! Hier bleiben wir. Derek, US-amerikanischer Hindu und der Hausherr von ‚Dereks Place’, hat hier eine kleine Oase aufgebaut...

 

Die nächsten Tage vertreiben wir uns mit Traum erfüllen. Schnorcheln mit majestätischen Adlerrochen, direkt am Riff vor der Bambushüttentür, Kiten in unberührten Gewässern, natürlich in Boardshorts... Sobald Sten den Kite an den Himmel zieht, bekommen wir Gesellschaft von den Kids der Insel. Zunächst sie scheu in sicherem Abstand am Strand. Schnell aber leisten sie uns Gesellschaft, gerne auch in unserer Palm-Beach-Hut, die wir als Sonnenschutz und zum Zeitvertreib gebaut haben.

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Ja, und auch wenn man es nicht glauben will...das Beste kommt erst noch! Unser Fischermansmeal. Kennt irgendwer nen Fischer, der nicht schwimmen kann? Ich schon. Jeffrey. Und weil das nicht sein kann, bringt ihm Jeff, ein Kanadier mit dem wir schon seit einer Weile reisen, das Schwimmen bei, während seine Kumpels Kitsurfen schauen. Als Dankeschön für die Schwimmlektion hat er für uns ein unglaublich leckeres Fischermansmeal gekocht. Auf offenem Feuer. Suppe mit Yukka, Kochbanane, Lobster, Fisch und Riesenkrabben. Wir essen vor seiner aus Treibholz zusammengezimmerten Hütte. Mit den Fingern. Den Lobster knacken wir mit einem Holzscheit auf einem Hackstock...und als Nachtisch gibt’s frisch von der Strandpalme geerntete und mit der Machete geknackte Kokosnüsse...so einfach und so unkopierbar!
 

Wenn es nicht gerade Fischermansmeal gibt, ernähren wir uns von Bier und frisch gefischtem Hummer für 5 Euro bei der alten Elsa. Natürlich mit Blick vom Esstisch direkt aufs Meer.

 

Die Tage beschließen wir mit nicaraguanischer Zigarre und Rum mit frischgezapftem Kokoswasser am Lagerfeuer.

An welchem Punkt könnte es schwerer sein, aus einem Traum zu erwachen, Abschied zu nehmen von all den warmherzigen und aufgeschlossenen Menschen, die ich in den vergangenen drei Monaten hier getroffen habe. Ich werde Taxifahrer, die im Auto Freiheitskampflieder vorsingen und Marktfrauen, die frisch gerührte Saucen in Plastiktüten verkaufen vermissen. Aber ein Stück der Lebensart und Lebensfreude, wie sie in Europa unvorstellbar wäre werde ich mit nach Hause nehmen.

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verändert: 2011/01/03